Beklemmende Botschaft
Frankfurter Rundschau vom 18. Mai 2004
Mit ihrer Eigenproduktion “Sei ruhig, ... schwimm weiter! hat sich
die Theatergruppe der Jugend-Kultur-Werkstatt Falkenheim im
Gallus für das Jugendtheatertreffen in Berlin qualifiziert. Ein großer
Erfolg: Von 172 Bewerbern aus ganz Deutschland wurden nur acht
Ensembles ausgewählt.
“Ich war dagegen, dich zu behalten.” “Das ist Claudia, wir sind jetzt
zusammen.” “Tschüss dann, Frau Meier.”
Es sind Sätze wie diese, spärlich und gekonnt eingesetzt, die den
Atem stocken lassen in der Jugend-Kultur-Werkstatt in der
Herxheimer Straße. Es ist die letzte Probe des Falkenheim-
Ensembles vor dem großen Auftritt am Freitag. Vor einem
Publikum aus ganz Deutschland werden die acht Akteurinnen und
Akteure aus dem Rhein-Mein-Gebiet ihr Stück “Sei ruhig, ...
schwimm weiter!” beim Jugendtheatertreffen der Berliner
Festspiele präsentieren.
“Sei ruhig, ... schwimm weiter!”: Der Titel, das zeigt sich bereits nach
wenigen Szenen, hat mehr als nur einen zynischen Beigeschmack.
Die Schauspieler, zwischen 18 und 28 Jahre alt, haben mit dem
Regiesseur Georg Bachmann traumatische Erlebnisse in
verschiedenen Lebensabschnitten, von der Geburt bis zum frühen
Erwachsenenalter, in einer improvisierten Szenenkollage auf die
Bühne gebracht.: Eine Mutter eröffnet ihrer Tochter an derem 18.
Geburtstag, dass sie adoptiert wurde. Kurz vor der Hochzeit gibt
der Bräutigam in spe zu, sich in die beste Freundin seiner
Lebensgefährtin verliebt zu haben. Beim dritten Anlauf zur
Magisterprüfung lautet das Urteil der Professorin erneut “nicht
bestanden.” Die beklemmende Botschaft, dass so etwas wie
Freiheit bei der Planung von Lebensentwürfen nicht existiert,
symbolische Käfige als einige der ganz wenigen Requisiten, in
denen sich die Schauspieler immer wieder von innen an die
Gitterstäbe krallen.
Von Anne Lemhöfer
Die Jury zur Auswahl
zum 25. Theatertreffen der Jugend 2004
Der Vorhang geht auf und es wird laut - ein schrilles,
ohren-betäubendes Geräusch bereitet Schmerzen, sinnliches
Theater für Ohr, Nase und Augen: Schmiedewerkstattgeruch erfüllt
den Raum und der Funkenregen der gnadenlosen Flex, die einen
Käfig/Kinderwagen bastelt, wird zum Zimmerfeuerwerk, das jenen
Ur- Moment zelebriert, mit dem alles beginnt - das Leben nämlich:
da liegt die Schwangere „guter Hoffnung" auf dem Tisch. Ein Bild,
das sinnfällig die Grundidee des Stückes und das
Inszenierungskonzept verdeutlicht: Es geht ums LEBEN (von der
Wiege bis zur Wiege, der ewige Kreislauf, der über das
Einzelschicksal hinausweist) - und das kann manchmal zum
Totlachen komisch sein, wenn endlich aufhört, was weh tut
(Touch me!).
Und dann kommen die mediclean verkleideten Suchenden,
Grubenarbeiter in Sachen Geburt und Erhellung, und weisen
diskret interaktiv auf einen „anderen Umstand" hin: Da is nix mit
Zurücklehnen! Das, was gleich kommt, ist nicht unser Stück,
sondern auch des Zuschauers „Ding": Meine Damen, Sie sind
schwanger!
Es wird eine schwere Geburt, choreografiertes Warten &
Zeit-totschlagen bis zu jenem grandiosen Moment, wenn die
Hebamme aus den Untiefen des Weiblichen den „corpus delicti"
zieht: das Kind / das Stück / den Anfang vom Ende des Anfangs...
das Kind, das kurz darauf wie für immer gewindelt der Liebe der
Welt ausgesetzt wird. Am Schluss des Stückes kehren die
Erwachsenen zurück in den Käfig jedes Anfangs - ein Leben lang
gefangen sein in dem, was „determiniert" war. Die Kunst des
Scheiterns nämlich hat zwei Mütter: an den Haaren
herbeigezogene Fremdbestimmtheit und
Selbstverhinderungskunst.
Zwischen Anfang und Schluss ein Dazwischen, ein Strampeln, ein
Abstrampeln, vor, hinter und zwischen den Vorhängen: 23 auf‘s
Wesentliche reduzierte, körperlich und mimisch präzise gespielte
Kurz- und Kürzestszenen; 23 Versuche das Gehen zu lernen; 23
flashartige Ein- und Draufblicke rund ums Lebensgestolpere mit
überraschenden Wendungen (mal positiv, mal negativ); 23 mal die
Suche nach dem aufrechten Gang (da kann schon mal was
verschütt gehn, seis‘s der Kaffee, sei‘s I shot the Sheriff!); 23 bitter-
humorige, im besten Sinne clowneske Statiönchen, die in der
Summe nicht nur ein Leben ausmachen - mit dem Strom oder
gegen den Strom - das Leben der Trockenschwimmer, mit
Wiedererkennungswert.
Peter Grosz
"Alle Menschen wissen zu Beginn ihrer Jugendzeit welches ihre innere Bestimmung ist. In diesem Lebensabschnitt ist
alles so einfach, und sie haben keine Angst alles zu erträumen und sich zu wünschen, was sie in ihrem Leben gerne
machen würden. Indessen während die Zeit vergeht, versuchen uns mysteriöse Kräfte davon zu überzeugen, dass es
unmöglich sei, den persönlichen Lebensplan zu verwirklichen."
Paulo Coelho