die frage nach dem sinn
Wetterauer Zeitung vom 17. Mai 2016
Rosbach (sur). »Die Nase klebt nicht«, schimpft der Teenager, der als Siebenschläfer mit einer
Schlafmütze verkleidet vor der Bühne sitzt. »Und die stinkt!« Seine Finger betasten die
Theaternase, die sein Gesicht älter erscheinen lässt. Auch die anderen Darsteller zwischen 10
und 14 Jahren haben zum ersten Mal bei dieser Probe Theaternasen im Gesicht kleben und mit
dem ungewohnten Gefühl zu kämpfen. Es sind die Endproben zum aktuellen Stück des
Rosbacher Ensembles des Kinder- und Jugendtheaters »et zetera« das in Zusammenarbeit mit
der Jugendarbeit der Stadt inszeniert wird.
»Alice - Wunderland?« ist ein Stück über das Erwachsenwerden und die Frage nach dem Sinn.
17 Darsteller haben es über neun Monate mit dem Initiator Georg Bachmann zusammen
entwickelt. Die bekannte Literaturvorlage wurde verändert und in die Lebenswirklichkeit der
jungen Menschen übertragen.
Alice erlebt die Phase zwischen Teenie und Erwachsensein, wie die Jugendlichen selbst. Sie ist
kein Kind mehr, aber auch nicht erwachsen und deshalb schrecklich unglücklich. Die quälende
Frage für sie: Wer bin ich, was macht mich aus? Sie folgt dem Kaninchen in eine andere Welt,
aber weiß nichts und kann nicht mitreden. Der König als Zeremonienmeister macht sich über
sie lustig. Doch sie kommt aus dem Schlamassel wieder heraus. Die Erkenntnis, dass alles nur
Fantasie ist und sie selbst bestimmt, wird zum Schlüssel für die Lösung.
Das Theater »et zetera« ist ein Kinder- und Jugendtheater mit einem ungewöhnlich
professionellen und experimentellen Anspruch. Georg Bachmann (54) ist Initiator, Intendant,
Spielleiter, Regisseur, künstlerischer Leiter, Bühnenbildner und kreativer Kopf von »et zetera«.
Seine Idee eines Kinder-und Jugendtheaters entstand schon vor 17 Jahren in Frankfurt im
Gallus-Viertel. Im Rahmen der JugendKultur-Werkstatt Falkenheim hatte er mit einem
Ensemble aus Jugendlichen zunächst Literaturbearbeitungen auf die Bühne gebracht. Mit
wachsendem Alter, Können und Kreativität der Jugendlichen sind auch Eigenproduktionen
entstanden.
Mit Erfolg: »et zetera« ist preisgekrönt, konnte 2004 beim Theatertreffen der Jugend in Berlin
eine Auszeichnung entgegennehmen. Seitdem haben die Gruppen sich weiterentwickelt, die
Ersten sind erwachsen geworden, das mittlerweile fünfte Ensemble probt in Frankfurt.
In Rosbach startete Bachmann die erste Projektgruppe 2012. »Alice« ist die dritte Inszenierung.
Jedes Projekt beginnt immer mit einer Werkstattphase, in der intensives Schauspieltraining
gemacht wird. Hier geht es um Sprachrhythmus, Teambildung, experimentelle Darstellung und
manchmal auch um die Kraft sinnvoller Pausen. Die Herausforderung für die Jugendlichen ist
das Einbringen von eigenen Themen und Ideen.
Die Auseinandersetzung mit dem Erwachsenwerden, die auch das Thema von »Alice« ist,
führte laut Bachmann zu der Frage, »ob denn alles wirklich Wunderland ist«. So hat sich in der
Weiterbearbeitung konsequenterweise ein Fragezeichen in den Titel des Stückes
eingeschlichen. Durch die intensive Auseinandersetzung mit dem ursprünglichen Text
veränderte sich dieser, Charaktere wurden den Darstellern zugeordnet und weiterentwickelt.
Sei es ein starr am Platz bleibender Humpty Dumpty, der viel erzählt, oder ein unter Zeitdruck
stehendes Kaninchen, das seinen Charakter nicht nur durch die Bewegung, sondern auch
durch eine gepresste Stimme unterstreicht. Natürlich kommen auch König und Königin,
Zwidddeldum und Zwiddeldei, der Märzhase, die Herzogin, die Spielkarten und andere
bekannte Figuren vor.
Bachmann ist es wichtig, dass die Kinder und Jugendlichen an einem Projekt wachsen. Es gehe
um mehr als um Spielen für die Jugendlichen, es gehe um die Entwicklung ihrer Persönlichkeit,
um die Gestaltung von Beziehungen und die Erweiterung des Horizonts. Er will zum
Nachdenken anregen. Die Fragen der Jugendlichen an die Erwachsenenwelt seien deutlich:
»Habt ihr eigentlich noch Spaß im Leben?«
Von Sybille Ullrich
Wer bin ich? Was macht mich aus? Fragen, die sich
Alice nach dem abrupten Ende ihrer Kindheit stellt.
Äußerlich schon gereift, aber innerlich noch ein Kind, lässt sie sich von einem weißen Kaninchen in
eine traumartige Unterwelt,voller Paradoxa und Absurditäten, entführen.
Dort begegnet sie einer verrückten Teegesellschaft, Zwiddeldum und Zwiddeldei, Humpty Dumpty,
der Grinsekatze, einer Herzogin und einer Königin samt König, die sich teils über sie lustig machen, ihr
vor allem aber ihre Unwissenheit verdeutlichen.
In absurden Dialogen muss sich Alice nun behaupten. Es gibt scheinbar kein Entrinnen.